1. Philharmonische Kammerkonzert der 201.Spielzeit mit dem Klenke-Quartett
    am Dienstag, 11.November 2025, im Kleinen Saal der Glocke

von Gerd Klingeberg

Dass sich vier junge Musikerinnen zu einem Streichquartett zusammenfinden, ist nicht gerade ungewöhnlich. Wohl aber, dass sie seit mittlerweile sage und schreibe 30 Jahren in unveränderter Besetzung als Klenke-Quartett (benannt nach der 1. Geigerin) kammermusikalisch unterwegs sind. Daraus resultiert unzweifelhaft auch eine besonders ausgeprägte interpretatorische und ausführende Homogenität. Und genau dies konnten die Zuhörer beim Konzert im Kleinen Saal der Glocke ohrenfällig erleben.
Das eingangs gespielte Streichquartett Nr.1 c-Moll von Johann Nepomuk Hummel dürfte den meisten unbekannt sein; der österreichische Komponist, ein Schüler u.a. von Mozart und Salieri, ist weitaus bekannter durch sein oft gespieltes Trompetenkonzert. Das erste seiner drei Streichquartette op. 30 ist mozartisch leicht und frisch, weitgehend unaufgeregt, weist aber auch nachdenkliche Passagen auf. Aus dem anfänglich etwas düster eingefärbtem „Adagio e mesto“ des Kopfsatzes erblüht schon recht bald ein freundliches „Allegro ma non troppo“, ein bunter Strauß klangvoller, sanft dahinfließender eingängiger Motive. Verspielt munter und unterhaltsam, zugleich mit zupackend gespielten Einwürfen folgt der kurze Satz 2 „Menuetto“. Auf breite, ausnehmend wohltönende, durch sehr dezente Akzentuierung verfeinerte Harmonien setzt das Ensemble im einschmeichelnd romantischen, zum Träumen schönen „Adagio e cantabile“. Das ist Schönklang pur, bei dem eine sentimentale Einfärbung durchaus angebracht ist. Weitaus bewegter, schwungvoller, aber keineswegs gehetzt anmutend, gestaltet das Quartett den abschließenden „Allegro vivace“-Satz. Die rhythmischen Finessen nehmen die vier Streicherinnen dabei routiniert und bravourös locker; zum fulminanten Ende hin steigern sie das Tempo dieser vielfacettigen Gute-Laune-Musik fast schon zum ausgewachsenen Presto.
Eine weitere, indes deutlich anders geartete Entdeckung an diesem Abend erleben die Zuhörer mit dem nur kurzen Streichquartett Nr.2 „Es ist genug“ von George Alexander Albrecht. Der 1935 im nahen Leuchtenburg geborene Komponist und Dirigent (ein Onkel der derzeitigen EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen) hält in diesem, anno 2019 zwei Jahre vor seinem Tod entstandenen Werk einen reflektierenden Rückblick auf sein von intensivem musikalischem Schaffen bestimmtes Leben. Der Titel bezieht sich auf einen gleichnamigen, ungewohnt tritonal beginnenden alten Kirchenchoral, den Johann Sebastian Bach kunstvoll vertont hat; den vierstimmigen Satz bringt das Ensemble vorab in nuancierter Klangfarbigkeit zu Gehör. Albrechts daraus entstandenes Streichquartett, das 2020 vom Klenke-Quartett auch uraufgeführt wurde, geht sehr behutsam mit der melodischen Substanz der Vorlage um; sie wird nicht verdeckt, sondern nachhaltig vertieft. Eingangs, im „Choralvorspiel“, umranken die zurückhaltenden Begleitstimmen den von der Bratsche gefühlvoll intonierten Cantus firmus. Die Musik ist vor allem im Mittelteil – laut Satzangabe „ein leidenschaftliches, auch humorvolles Stück, das in ein ernstes, tröstliches Adagio mündet“ – ergreifend ausdrucksvoll und stark affektgeladen, ohne dabei ins Pathetische abzudriften. Die Ambivalenz der unterschiedlichen Stimmungen, die das tiefernste Fragen wie auch die Angst eines dem Tode ins Auge blickenden Menschen vermitteln, wird von den vier Streicherinnen ebenso expressiv betont wie die verhaltene Vorfreude auf ein paradiesisch geartetes Jenseits, frei von aller irdischen Sorge und Last. Es sind Klänge, die ungemein anrühren, unter die Haut gehen, das Herz bewegen. Auch ganz ohne Worte teilen sich die religiösen, besser noch: existenzielle Gedanken des Menschseins vermittelnden Aussagen des Chorals eindringlich mit; Letzterer erklingt abschließend noch einmal als „Choralgebet“ in überaus sanften Harmonien. Für Momente herrscht ergriffene Stille, dann setzt befreiender Beifall ein.
In der zweiten Konzerthälfte präsentieren die vier Musikerinnen mit Ludwig van Beethovens Streichquartett F-Dur op.59/1 ein kammermusikalisches Monument. Die Dimensionen des Werkes sind enorm, ebenso wie die Vielfalt motivischer Einfälle. An der notwendigen spieltechnischen Kompetenz und imponierenden Virtuosität seitens der Ausführenden herrscht keinerlei Zweifel. Und auch die Homogenität und Ausgewogenheit des Klenke-Quartetts ist dabei in besonderem Maße evident. Ihre Interpretation setzt auf melodiös fließende Gestaltung, die keine übermäßig krassen Kontraste benötigt, aber dennoch als dauerhaft spannungsintensiv wahrnehmbar ist und zu keinem Zeitpunkt auch nur den Hauch von Überdruss entstehen lässt. Der grundlegend optimistische Duktus des Kopfsatzes wird im 2.Satz, einem „Allegretto vivace sempre scherzando“, in variierender Dynamik und sorgfältiger Ausformung rhythmischer Raffinessen fortgeführt.
Einen bedeutsamen, laut Vortragsbezeichnung geradezu schmerzlich betrübten („mesto“) Gegensatz bringt Satz 3 „Adagio molto e mesto“. Die gedeckt herbstfarbig anmutende Atmosphäre scheint zwischen meditativer Ruhe und angestrengter Nachdenklichkeit, zwischen Hoffnung und Resignation zu schwanken. Das ist kein polternder Beethoven, sondern ein sehr persönlicher, in sich gekehrter Mensch, der sich den grundlegenden Fragen seines Daseins stellt.
Vorsichtig, zunächst noch verhalten, gerät der zäsurlose Übergang zum Finalsatz, einem folkloristisch munteren „Theme Russe“-Allegro. Mitreißend rhythmisch geht das Quartett ans Werk; immer neue Anläufe, überraschende Ritenutos und darauffolgende deutlich akzelerierende Passagen leiten unbeirrt stringent den finalen Sturmlauf ein in Form einer Stretta, die das Klenke-Quartett in energischem Presto absolviert.
Als kurze Zugabe nach langem begeistertem Beifall spielen die vier sympathischen Instrumentalistinnen erneut die nachdenklich machende Bach-Vertonung „Es ist genug“, jetzt als wunderschönes, sehr inniges Nachtgebet am Ende eines Konzerts, dessen rundum gelungene Darbietungen wohl jeden Zuhörer in vielfältiger Weise berührt haben dürften.