Kritik für das 2. Philharmonische Kammerkonzert: Marmen Quartett

Wer beim Marmen-Quartett eine besondere Bedeutung im Namen vermutet, etwa Hinweise auf spezifische Schwerpunkte oder Zielsetzungen, muss feststellen, dass dafür ganz unspektakulär der Nachname des Ersten Geigers Johannes Marmen verwendet wurde. Und wenn das Konzert eines Streichquartetts – so wie beim Bremer Debüt des Ensembles – mit einem Werk von Joseph Haydn beginnt, dann ist das ebenfalls kaum aufsehenerregend.

Doch schon nach wenigen Takten des C-Dur-Quartetts op.50/2 dürfte jedem aufmerksamen Zuhörer im Kleinen Glockensaal klar gewesen sein, dass das 2013 in London gegründet Marmen-Quartett keineswegs ohne Berechtigung wichtige Musikpreise gewonnen hat. Die mitunter fast schon irritierend unkonventionelle, lebhaft-energische Herangehensweise, mit der die beiden Streicher Johannes Marmen und Laia Valentin Braun gemeinsam mit der Bratschistin Bryony Gibson-Cornish und der Cellistin Sinéad O‘Halloran das Werk strahlglänzend und spritzig präsentierten, mochte einigermaßen eigenwillig anmuten, war indes kein Selbstzweck, sondern wohl begründet. Johannes Marmen wies darauf hin, dass, Haydn in seiner Partitur nur sehr vereinzelte Spielanweisungen bezüglich Tempi oder Dynamik notiert habe. Es liege demnach in der Einschätzung der jeweiligen Ausführenden, aus dem Notenbild ein lebendiges Klangerlebnis zu erzeugen. Was dem munter aufspielenden Ensemble wahrhaft bravourös gelang.


Eine derartige Gestaltungsfreiheit ist bei den 1909 entstandenen „Fünf Sätzen für Streichquartett“ des österreichischen Komponisten und frühen Schönberg-Schülers Anton Webern nicht gegeben. Ganz im Gegenteil. Mitunter gäbe es für einzelne Töne drei oder gar mehr Ausführungshinweise, erläuterte Marmen. Die auf das unbedingt Wesentliche beschränkte musikalische Aussage der sehr kurz gehaltenen Sätze kommt tatsächlich nur bei exakter Umsetzung dieser Vorgaben zum Tragen. Ausgeprägte spieltechnische Qualitäten sind dabei vonnöten, bestimmte Strich- und Spielvarianten (z.B. Flageolett, Tremolo, Pizzicato oder col legno, das Schlagen der Saiten mit der Bogenstange), die in schnellem Wechsel anzuwenden sind. Das allein sorgte bereits für ein ungewöhnlich farbiges Klangbild. Besonders berührend gerieten dabei die beiden wunderschönen langsamen Sätze als wohlige, mitunter mattfarben melancholische nächtliche Traumgebilde.


Recht gespannt war man auf die schlicht mit „Four“ bezeichnete Komposition von John Cage. Gewiss ist es nicht verkehrt, sich vorab über die ungewöhnliche grafische Notation, über proportionierende Hinweise, Zwölftontechnik, Zeitstreckenstrukturen und vieles mehr in diesem Werkes zu informieren. Es genügte im konkreten Fall aber auch, sich ganz einfach auf die äußerst behutsam gestalteten, ganz allmählich ineinanderfließenden Klänge einzulassen. Einzutauchen in das gänzlich unaufgeregte, meditative Fließen eigentümlicher, aber dennoch irgendwie vertraut anmutender sphärischer Harmonien. Eine wie verwunschen wirkende Klangwelt zu betreten, dabei die extreme Dehnung, den Beinahe-Stillstand von Zeit wahrzunehmen in zelebrierter Langsamkeit, die von den Ausführenden indes höchste Konzentration und intensive Interaktion (auch bei der synchron durchgeführten Anfangs- und Schlussgeste) erforderte. Ein faszinierender Konzerthöhepunkt, der dergestalt zweifellos nur als Live-Performance erlebbar wird.


Die zweite Konzerthälfte war Ludwig van Beethoven gewidmet. Sein Streichquartett e-Moll op.59/2 entspricht konventioneller Formgebung, besticht aber durch eine geradezu radikale Tonsprache. In bestechend akkuratem Zusammenspiel präsentierten die vier Streicher eine packende Interpretation, die die Vielzahl an unterschiedlichen, oft überraschend einsetzenden Themen und Gedanken zu einer stimmigen Einheit zusammenfügten. Der 2.Satz Molto Adagio wurde zum nachdenklichen, äußerst feinsinnig angegangenen Nachtstück. Kontrastierend beschwingt und munter geriet der rhythmisch straffe Folgesatz Allegretto mit seiner eingearbeiteten russischen Volksliedmelodie. Und wenn es noch eines Beweises brillanter Virtuosität seitens des Marmen-Quartetts bedurfte, so wurde dieser spätestens beim turbulenten, ungemein vehement dargebotenen Finalsatz geliefert.


Für den begeisterten Beifall bedankte sich das sympathische Ensemble mit dem Adagio aus Haydns Streichquartett B-Dur op. 64/3, einem ungetrübt freundlichen und liedhaften Satz – genau
das Richtige für den geruhsamen Heimweg.