Kritik & Impressionen: 8. Philharmonisches Kammerkonzert

  1. Philharmonisches Kammerkonzert am 16.04.2023

Blumengrüße sind immer eine freundliche Geste. Selbst wenn der Anlass dazu ein trauriger sein sollte. Das trifft auch für musikalische Blumengrüße zu. Etwa für Giacomo Puccinis wunderschönen Chrysanthemenstrauß „Crisantemi“, den der Komponist anno 1890 „alla memoria di Amedeo di Savoia Duca d’Aosta” in einer einzigen Nacht für seinen verstorbenen Freund Amadeo schrieb. Eine zutiefst anrührende Eingangsmusik auch für das 8. Philharmonische Kammerkonzert, herzergreifend innig vorgetragen von vier international herausragenden Kammermusikern in Streichquartett-Formation: den beiden Violinisten Julian Rachlin und Boris Brovtsyn, der Bratschistin Sarah McElravy und dem Cellisten und derzeitigen Artist in Residence Eckart Runge. Dem zarten, sehr gefühlsbetonten instrumentalen Gesang und dem melancholischen Schwelgen in wehmütigen Erinnerungen bis hin zum morendo verschwebenden Schlussakkord konnte man sich zuhörend dabei schwerlich entziehen.
Mindestens gleichermaßen unter die Haut ging auch das 1960 komponierte Streichquartett c-Moll Nr. 8 von Dimitrij Schostakowitsch, eine Erinnerung an die unzähligen Opfer von Krieg und Faschismus. Ungewöhnlich allein schon, dass drei der insgesamt fünf Sätze als Largo bezeichnet sind. Wie persönlich die kompositorischen Aussagen angedacht sind, hat Schostakowitsch durch die Verwendung seiner Initialen D-(e)S-C-H in der Eingangssequenz deutlich gemacht. Sehr bedächtig, fast stockend starteten die Ausführenden, immer wieder in stillem deprimierendem Düsterklang verharrend. Dann, im attacca angegangenen 2.Satz, ein gänzlich unvermitteltes Umschwenken: prasselnde, geradezu schmerzlich harte, oft dissonante Martellato-Salven in turbulentem Fortissimo, die die Brutalität und das Grauen des Krieges in quälender Bildhaftigkeit eindrucksintensiv vermittelten. Schließlich, im 4. Satz, ein dicht gewebter Klangteppich, ein alles überdeckendes Leichentuch. Dann nur noch grenzenlose Trauer und Resignation. Und doch auch noch ein winziger Funken Hoffnung, wenn Schostakowitsch mit dem im Nichts verhallenden Schluss erneut das D-(e)S-C-H-Motiv zitiert. Und damit ein zwar verzagtes, aber dennoch unmissverständliches „Ich-lebe-noch“ signalisiert.
Reichlich schwere Kost also im ersten Teil des Konzerts. Aber auch nach der Pause gab es kein gemütliches Zurücklehnen. Der klangvolle Einstieg im großen Adagio-Kopfsatz von Ludwig van Beethovens Streichquartett B-Dur op. 130 schien zunächst Entspannung anzukündigen. Doch der eruptive Donner ließ nicht lange auf sich warten. Kaum hatte man sich in beseelten Wohlfühl-Harmonien angenehm eingerichtet, war es – halt typisch Beethoven! – schon wieder vorbei damit. Eine Episode folgte der nächsten, mal pianissimo melodiös, mal tänzerisch elegant. Oder eben konsternierend unwirsch, aufwühlend quirlig, im Fortissimo alles überrollend. Und zumeist äußerst überraschend. Unglaublich, welch eine Vielzahl an Ideen Beethoven dabei verarbeitet hat. In seinen  hochvirtuosen Ausführungen vermied das stehend vortragende Quartett jegliche Entgratung oder Glättung, setzte vielmehr mit größtmöglicher Wandlungsfähigkeit auf scharf konturierte Kontraste in Dynamik, Tempo und Klangfarbigkeit.
Beruhigung, tröstliche Wärme und so etwas wie Geborgenheit war hingegen in der mit reichlich lyrischer Expressivität dargebotenen Cavatine (5.Satz) zu spüren wie ein sanftes, geradezu überirdisch anmutendes Leuchten.
Dann erneut – im hier vorgetragenen ursprünglichen Finale, der Großen Fuge B-Dur mit eigener Opuszahl 133 – ein Beethoven voller verblüffender Wendungen: aufmüpfig, unkonventionell, mitunter fast anarchistisch kakofon, verstörend. Einer, der musikalische Grenzen erstaunlich weit ausdehnt. Einfach weil er es kann. Und dabei bis zum berauschenden Finale unerhörte Spannung generiert. Wow!
Blieb nach frenetischem Jubel des Auditoriums nur noch ein zweites, sogar noch etwas farbiger aufblühendes Chrysanthemen-Gebinde: nämlich in Wiederholung Puccinis „Crisantemi“ als versöhnliche Abschiedsmelodie für den Heimweg.

(von Gerd Klingeberg)

Impressionen: