Kritik: 5. Philharmonisches Kammerkonzert

  1. Philharmonisches Kammerkonzert am 30.01.2023 (von Gerd Klingeberg)

Die norwegische Violinistin Eldbjørg Helmsing, dazu Cellist Daniel Müller-Schott sowie Martin Stadtfeld am Flügel: ein wahrhaft hochkarätig besetztes Trio, das beim 5. Philharmonischen Kammerkonzert im kleinen Saal der Glocke zu erleben war. Es dürfte gewiss schwer, wenn nicht gar unmöglich sein, derzeit ein Ensemble mit vergleichbar ausgeprägten spieltechnischen Qualitäten und interpretatorischen Kompetenzen zu finden. So jedenfalls der Eindruck, den das Trio von Beginn an vermittelte. Ludwig van Beethovens Klaviertrio D-Dur op. 70.1 bot dafür beste Voraussetzungen; denn gleich im Kopfsatz mit seiner Vielzahl immer neuer, überraschender Wendungen wird eine adäquat wandlungsfähige Ausführung gefordert. Und die funktioniert nur bei optimaler Interaktion. Dass genau dies stetig erfolgte, war offensichtlich, so dass die Kontrasthaftigkeit dieser Komposition in Perfektion dargeboten wurde.
Ganz anders der dunkler gefärbte Largo-Mittelsatz. Er hat dem Werk die Bezeichnung „Geistertrio“ zu verdanken. Eher zu Unrecht, weil Beethoven kaum dergleichen im Sinn gehabt hatte. Die exzellenten, mit Hingabe gespielten Ausführungen der Musiker – zarte Figurationen, melancholische Düsternis und fließend aneinandergereihte, weltentrückt anmutende Klangschleier in mitunter verstörender Harmonik – waren indes zweifellos dazu angetan, sepiafarbene Bilder unterschiedlichster Thematik zu generieren. Welche genau, das darf jedoch getrost jedem einzelnen Zuhörer überlassen bleiben. Wie eine Art Befreiungsschlag wirkte dagegen Satz 3: ein heiter-ungestümes Presto von rhythmischer Prägnanz, dessen allzu wildes Vorwärtsdrängen wiederholt gekonnt und spannungsintensivierend bis hin zum sprühenden Kehraus abgefangen wurde.
Edvard Griegs 1878 entstandenes Andante con Moto c-Moll für Klaviertrio ist nur selten zu hören. Es weckt Szenarien einer nebelverhangenen schroffen Landschaft, hat gefällige Volkston-Anleihen und saloneske Partien, erinnert aber in Teilen sowohl an die Dramatik von Griegs Klavierkonzert wie auch an die Intimität seiner Lyrischen Stücke. Ein Werk voller unterschiedlichster Facetten, gewiss auch eine Hommage an das Heimatland des Komponisten, die das Trio wie eine durchgehend spannende Geschichte in nachhaltiger Bildhaftigkeit vorzutragen wusste.
Noch weitaus größer dimensionierte romantische, nicht selten ins Pathetische gesteigerte Klangwelten bot das gewaltige Klaviertrio a-Moll von Pjotr Iljitsch Tschaikowski, geschrieben 1881/82 „à la memoire d’un grand artiste“ – womit der Freund und musikalische Mitstreiter Nikolaj Rubinstein gemeint war. Da konnten die beiden Streicher mit ihren timbrisch bestens harmonierenden Instrumente in sensibel angestimmten, teils fast schon todessehnsüchtig anmutenden Weisen schwelgen, unterlegt von den nicht enden wollenden Figurationen des Klaviers, das in diesem Werk in Anlehnung an das pianistische Können seines Widmungsträgers nicht selten die Führungsrolle zu übernehmen hatte. Stadtfeld meisterte, ebenso wie seine beiden Triopartner, die spieltechnischen Höchstanforderungen mit Bravour. Im Ergebnis entstand eine Interpretation, die von überbordender Emotionalität und einem steten Wechsel expressiver Stimmungslagen geprägt war.
Reizvoll gerieten die nahezu ein dutzend Variationen eines russischen Liedes, das als schlichtes Thema vom Klavier vorangestellt worden war. Ob weite Walzerschwünge oder eine groß angelegte Fuge, ob muntere Mazurka oder elegische Klage sordinierter Streicher samt hauchfein unterlegtem Arpeggio-Säuseln des Klavier: Das vielfarbige stilistische Kaleidoskop, das vom Trio mit schier grenzenloser Musizierfreude brillant präsentiert wurde, überzeugte mit jeder Nuance.
Das galt auch für den zupackend intonierten Schlusssatz, bei dem die klanglichen Möglichkeiten der Instrumente extensiv ausgelotet wurden für opulente Fortissimos sinfonischen Ausmaßes: als ungemein faszinierende Klänge wie Sturmwinde über der Weite der Taiga, fesselnd und voller Dramatik in jedem einzelnen Moment. Und schließlich ganz allmählich weit hinter dem Horizont verdämmernd. Ein Augenblick der Stille, des Atemholens. Dann tosender Beifall, Bravorufe. Aber keine Zugabe. Warum auch: Jedes weitere Werk hätte den intensiven finalen Eindruck dieses Konzerts nur schmälern können.