- Philharmonisches Kammerkonzert am 16.Mai 2024 im Kleinen Saal der Glocke
von Gerd Klingeberg
Für die Zuhörer des 8.Philharmonischen Konzert im Kleinen Glockensaal dürfte Arnold Schönbergs hochpathetische Tondichtung „Die verklärte Nacht“ in Zukunft wohl immer mit der Erinnerung an ein faszinierendes Mimenspiel assoziiert werden. Und genau dies hatte Eckart Runge bei seinem von ihm initiierten letzten Konzert als Artist in Residence gewiss auch beabsichtigt.
Doch erst einmal wurde das Auditorium passend eingestimmt mit dem Sextett für Streicher aus der Oper „Capriccio“, dem letzten, 1942 entstandenen Bühnenwerk von Richard Strauss. Nicht etwa die Gräuel des Weltkriegs, sondern das Problem einer dialektischen Beziehung zwischen Musik und Wort wird darin thematisiert. Das Ensemble (Viviane Hagener und Stephan Waarts: Violine, Karolina Errera und Anna-Maria Wünsch: Viola, sowie Eckart Runge und Mikayel Hakhnarzaryan: Violoncello) intonierte die einschmeichelnd schmachtende Einleitung wie ein hauchfeines, alle Unbill der Welt vergessen lassendes Gespinst ungetrübter Harmonien. Dazwischen ein leichtes Aufbegehren nur, dann ein gemütvolles Ende, wie ein sanftes Erlöschen der letzten Sonnenstrahlen am Abend. Romantik pur in schönster Ausprägung.
Für heiter unbeschwerte Klänge sorgte indes Luigi Boccherinis berühmtes Menuett (aus dem Streichquintett E-Dur op.11/5). Doch es diente vor allem als eröffnende Bühnenmusik für das Pantomimen-Duo Wolfram von Bodecker & Alexander Neander – beide waren dereinst Schüler und Bühnenpartner des legendären Marcel Marceau – mit ihrer umwerfend komischen, ebenso fein- wie hintersinnig slapstickigen Episode „Rendez-Vous“. Mit ausdrucksvoller Gestik und Mimik zauberten die beiden wahrhaft phänomenalen Darsteller so manches frohgemute Lächeln auf die Gesichter der Zuschauer und ließen sie teilhaben am mehr oder weniger erfolgreichen, letztlich jedoch frustranen Versuch zweier Charmeurs, die Damen ihrer Herzen zu betören. Grandios!
Für die folgende „Verklärte Nacht“ war die Saalbeleuchtung deutlich herabgedimmt worden. Die dunklen, sehr zurückgenommen gestrichenen Klänge zu Beginn sorgten für eine geradezu magische Stimmung, dazu war auf einer verschleierten Türöffnung war eine kleine Mondsichel erkennbar. Eine Person trat beschwingten Schrittes heraus, glückselig offenbar, wie auf Flügeln schwebend, doch bereits mit der noch unterschwelligen Vorahnung kommender Verhängnisse. Letzteres kam in der dramatischen, teils hart dissonant stampfenden Musik spürbar zum Ausdruck, bis diese sich für Momente moriend verflüchtigte. Jedoch nur, um danach mit neuer, noch stärkerer Emotionalität anzurühren. Die eigens dazu erdachte Choreografie der beiden gänzlich wortlosen, aber doch so unendlich vielsagenden, außerordentlich ausdrucksstarken Bühnenkünstler geriet derart exzellent und fesselnd, dass das Streicherensemble fast nur noch als stimmige Klangkulisse wahrgenommen wurde. Die ausgefeilte pantomimische Handlung orientierte sich, analog zu Schönbergs Komposition, zweifellos am recht schwülstigen Richard Dehmel-Gedicht über die „sündige Liebe einer Frau“ und die daraus entstehenden seelischen Konflikte. „Bodecker & Neander“, in identischer Kostümierung (und damit vielleicht an die sprichwörtlichen zwei Seelen in einer Brust erinnernd), boten eine weitreichend tiefgründige, stark melodramatisch gefärbte Darstellung, ein vielschichtiges expressives Wechselbad der Gefühle, bei dem auch noch eine große Puppe als weiteres Ebenbild ins Spiel kam. Die meisterhaft dargebotenen Szenarien lösten eine Fülle von Assoziationen aus und eröffneten dabei für jeden Zuschauer durchaus verschiedenartige, ganz individuell interpretierbare Sichtweisen. Mucksmäuschen still war es während der durchgehend zutiefst beeindruckenden Vorstellung, bis sich die anhaltend hohe Spannung in frenetischem Beifall löste.
Mochte das Sextett bei Schönberg doch ein wenig in den Hintergrund geraten sein, so konnten die stets perfekt interagierenden Musiker nach der Pause mit dem Streichsextett Nr.2 G-Dur op.36 von Johannes Brahms ihr virtuoses Zusammenspiel nachhaltig demonstrieren. Kaum vorstellbar, dass der Komponist mit diesem Werk einstmals wenig positive Resonanz erfuhr. Mit musikantischer Einfühlsamkeit und Emphase intonierte das Ensemble dieses gleichfalls von schier überbordender Emotionen durchdrungene Werk, mal auftrumpfend resolut – mal wehmutsvoll, mal aufblühend beseelt – dann düster umwölkt scheinend, dabei in der Vielzahl der unterschiedlichen Motive immer wieder changierend zwischen heiter-gemütvoller Zufriedenheit und tiefem Ernst. Die mitunter kunstvoll ineinandergreifenden Stimmen wurden durchweg bravourös in homogener Dynamik und optimaler Transparenz vorgetragen. Ein überwältigender Abschluss eines berauschenden, von kaum noch steigerbarer Stimmungsintensität geprägten Konzerts, das zum Schluss auch ohne Zugabe (jedes weitere Werk hätte den tiefen Gesamteindruck ohnehin wohl nur verwässern können) erneut mit lang anhaltendem Applaus bedacht wurde. Zugleich war es nach drei Jahren ein in jeder Hinsicht würdiger Abschied vom Vollblutmusiker Runge, der die Reihe der Philharmonischen Kammerkonzerte mit seinen großartigen, immer gut durchdachten, mitunter auch mutigen Ideen und Konzepten entscheidend bereichert hat.