1. Philharmonisches Kammerkonzert mit Nils Mönkemeyer und dem Animato Quartet
    am Donnerstag, 20. März 2025 im Kleinen Saal der Glocke

von Gerd Klingeberg

Maurice Ravel, dessen 150. Geburtstag in diesem Jahr landauf, landab gefeiert wird, hat nur wenig Kammermusikalisches, darunter lediglich ein einziges Streichquartett hinterlassen. Und das bot sich perfekt an für das in den Niederlanden heimische, 2013 gegründete Animato Quartet an für ihr Bremer Debüt beim 7. Philharmonischen Kammerkonzert.
Der Einstieg erfolgt in plüschig weichem Legato, genau wie vom Komponisten angegeben: „très doux“ („sehr weich“). Ravel, der für die Interpretation seiner Werke überaus detaillierte Vorstellungen vertrat, hätte die exakte Beachtung der Satzbezeichnung zweifellos gefallen. Was nicht etwa bedeutet, dass die vier Streicher sich sklavisch an entsprechende Vorgaben halten. Ihr Vortrag wirkt niemals eingeengt, sondern ausgesprochen lebhaft, als durchweg agiles Auf und Ab. So auch im 2.Satz „Assez vif, très rhythmé“ („ziemlich lebhaft, sehr rhythmisch“), der schon bei den ersten Pizzicato-Takten eine derart engagierte Spielweise geradezu herausfordert. Und dann, ziemlich überraschend, im Mittelteil  zum melancholischen Poem mutiert. Noch um einiges stimmungsvoller und mit viel Herzblut gestaltet das Ensemble den 3. Satz „Très lent, modéré“ („Sehr langsam, moderat“), verleiht ihm etwas Magisches, Traumhaftes, Romantisches, so als handele es sich um ein Caspar-David-Friedrich-Nachtgemälde, gezeichnet in schwelgerischen Aquarelltönen. Dann ein Bruch, wie er kaum heftiger sein könnte: Stürmisches Brausen im Schlusssatz, ein beängstigend angriffslustiges Schwirren wie von einem riesigen Wespenschwarm, mit zwischenzeitlich nur kurzen Verschnaufpausen, dann wieder heftige Turbulenzen, ein letztes Aufbäumen – Aus! Kaum vorstellbar, dass Ravels Streichquartett bei der Uraufführung anno 1904 heftige Proteste auslöste…
Noch um einiges dramatischer gerät Wolfgang Amadeus Mozarts 1787 entstandenes Streichquintett g-Moll KV 516, für dessen Darbietung sich Nils Mönkemeyer als weiterer Bratscher dazugesellt hat. Das Werk scheint so gar nichts mehr gemeinsam zu haben mit der Heiterkeit etwa der „Kleinen Nachtmusik“, vielmehr verströmt es vom ersten Moment an hochgradige Dramatik in einer Atmosphäre, die gleichermaßen von Düsternis und einem letztlich dennoch nicht zu unterdrückenden Optimismus geprägt scheint. Bestimmendes Element des Kopfsatzes ist ein tachykard-nervöses  Pulsieren, das als präzise angegangenes Tackern für eine weitere Spannungsintensivierung sorgt. Das Ensemble besticht dabei mit perfektem Zusammenspiel; die Doppelung der Bratschen boostert die Baritonlage und macht den Gesamtklang fülliger. Das bewirkt etwa im 2.Satz Menuetto, dass die unterbrechenden dissonanten Akkordattacken mit der erschreckenden Wucht heftiger Axtschläge erfolgen. Wie weltentrückt folgt das wunderschöne, sordiniert überaus feinfühlig gestrichene Adagio des 3.Satzes, fast so, als wähnte man sich zu nächtlicher Stunde auf einer von silbrig sanftem Mondlicht beschienenen Waldeslichtung, zwar mitunter verdunkelt durch einige dunkle Wolken, bis leise Serenadenklänge eine anrührend heimelige Gemütslage verbreiten. Die wahrhaft zu Herzen gehende Stimmung führt das Quintett auch noch für eine Weile im Finalsatz weiter fort, jetzt indes unter nuancierter Betonung des tiefsinnig Fragenden, Suchenden, der Verletzlichkeit, die Mozart hier meisterhaft hineinkomponiert hat. Wie befreiend dagegen das leichthändig gestrichene Rondo: kein polternder Kehraus, sondern ein wohlgemuter, optimistisch nach vorn gerichteter Ausblick, ein mozartisches „Das-Leben-ist-schön“-Finale.
Diese beiden so unterschiedlichen, aber gleichermaßen beeindruckend dargebotenen kammermusikalischen Werke liefern an diesem Abend auch den angemessenen Rahmen für ein ganz besonderes Praliné: Nils Mönkemeyer, einer der gefragtesten deutschen Bratschisten, neben diversen Auszeichnungen just zum „Hochschullehrer des Jahres 2024“ gekürt und derzeitiger „Artist in Residence“ der Philharmonischen Gesellschaft Bremen, spielt Bachs Cello-Suite Nr.1 in Bearbeitung für Viola – nicht ohne zuvor humorvoll die Vermutung geäußert zu haben, Bach, der selbst kein Cello spielte, hätte sie auch heimlich zuhause auf der Bratsche gespielt. Warum auch nicht?
Mönkemeyer beweist sich – durchaus erwartungsgemäß – als Solist mit stupender Spieltechnik und ausgeprägter interpretatorischer Qualität. Blitzsauber intonierend, mit süffigem Ton und perfekter Bogenführung setzt er auf markante Echo-Effekte, vermittelt geschickt den Eindruck einer Mehrstimmigkeit und gibt jedem der 6 Tanzsätze sein unverkennbar eigenständiges titelcharakteristisches Gepräge. Edler Klang bei subtil variiertem Tempo bestimmt die Allemande. In der mit leichtem Bogen ausgeführten Courante hat man unwillkürlich die trippelnden Schritte einer munteren Tanzgesellschaft vor Augen. Recht gravitätisch und breit erklingt die Sarabande; im doppelteiligen Menuett bringt Mönkemeyer die höfische, mitunter gar neckische Galanterie mit spielerischem Charme kunstvoll zum Ausdruck. Eher schroff und fetzig, deutlich kontrastierend zu den vorherigen Tänzen und fast wie einen echten Rausschmeißer präsentiert er in wahrhaft sportlichem Vorandrängen die abschließende Gigue.
Wieder einmal ein Hörgenuss vom Feinsten, wie der gesamte Konzertabend, den das Publikum mit lang anhaltemden Beifall und Bravo-Rufen begeistert feiert.