Eckart Runge, Jacques Ammon
Wenn man zwei Vollblut-Profimusiker einfach mal machen lässt, kann dies zu überraschenden Programmabfolgen führen. Denn wann wären in der weitestgehend klassisch orientierten Reihe der Philharmonischen Kammerkonzerte jemals Rock-Pop-Legenden wie Jimi Hendrix oder Frank Zappa gespielt worden?
Doch eins nach dem anderen. Cellist Eckart Runge, derzeitiger Artist in Residence, und sein Klavierpartner Jacques Ammon hatten Ludwig van Beethoven in den Mittelpunkt ihres Konzertabends gestellt, zugleich aber exemplarisch auf interessante Gemeinsamkeiten mit Vertretern heutiger Musikrichtungen verwiesen. In seiner durchweg kenntnisreichen, bestens verständlichen Moderation ließ es sich Runge indes nicht nehmen, sich vorab kurz mit einigen kritischen Anmerkungen zum Kriegszustand im Osten Europas zu äußern. Könne man in einer solchen Situation überhaupt noch Musik machen? Sein eindeutiges Statement: Ja, jetzt sogar erst recht; denn Musik verkörpere das Gute, das Wahrhaftige des menschlichen Lebens und sei ein elementarer Gegenpol zur Barbarei des Krieges. Zudem sei Musik in der Lage, auch solches zum Ausdruck zu bringen, was sich nicht mehr in Worte fassen lässt.
Etwa so wie bei einem wunderschönen Lied ohne Worte, komponiert vom glühenden Beethoven-Verehrer Felix Mendelssohn Bartholdy. Es war der stimmungsvolle Konzertauftakt, bei dem in der Ausführung des Duos das Warmtönige, Emotionale dominierte. Mendelssohn-Vorbild Beethoven sei zu seiner Zeit wie ein Popstar verehrt worden, habe sich aber auch gänzlich unkonventionell, geradezu provokant über so manche scheinbar in Stein gemeißelte Kompositionsregeln hinweggesetzt – und damit revolutionierend Neues erschaffen. Selbst in einem seiner eigentlich harmlos anmutenden Frühwerke. Im hinreißend schmachtenden Lovesong „Adelaide“ entfernt sich Beethoven kompositorisch nicht nur vom bis dato üblichen Liedformat; in diesem Lied, bei dem durch Runges quasi singenden Cellopart und Ammans markantes Klavierspiel die Intensität der Liebesgefühle meisterhaft nachvollzogen wurden, lässt der Komponist den fünfsilbigen Namen der Angebeteten in einer raffiniert eingefügten Fünftonfolge mehrfach als Refrain erklingen.
Liebe, allerdings unerhörte, wird in Joaquin Rodrigos sattsam bekannten ‚Concerto de Aranjuez‘ thematisiert. Der vor gut einem Jahr verstorbene amerikanische Jazz-Pianist Chick Corea hat es in „Spain“ paraphrasiert. Ein Werk, bei dem sich Runge und Ammon mit breiter Melodik vor ausgedehnten schillernden Figurationen und packend cool swingenden Passagen als lupenreine Jazzer präsentierten – und prompt frenetisch bejubelt wurden.
Düster-erdige Moll-Klangfarben waren indes vorherrschend im Song „Warszawa“ von David Bowie, einem der erfolgreichsten Rock- und Popmusiker der letzten Jahrzehnte. In der Bearbeitung des kaleidoskopisch anmutenden, kaum übersetzbaren Liedes malte das Duo aus verhalten pulsierenden, fremdartigen Harmonien und teils sphärischen Flageolettsequenzen ein eindrucksvolles Bild, das die Tristesse der polnischen Hauptstadt, so wie sie Bowie dereinst empfand, in Beziehung setzt zur Warmherzigkeit ihrer Bewohner.
Als weiteres Beispiel kompositorischer Freiheit folgte erneut ein Beethoven, und zwar mit seiner Sonate op. 102 Nr.2 für Klavier und Violoncello. Der Kopfsatz sei in seinem Aufbau konzentriert wie eine „eingekochte Bratensoße“, das Mittelsatz-Adagio hochromantisch, der Schlusssatz eine irritierend akzentuierte, dabei äußerst komplex aufgebaute Fuge, die die gängigen Regeln gekonnt persifliert, erläuterte Runge. Und er erwies sich wieder einmal als exzeptioneller Kammermusiker, der jede zuvor angesprochene Einzelheit kongenial mit seinem Klavierpartner umzusetzen wusste.
Nach der Pause ging es zunächst melancholisch weiter, mit „Eleanor Rigby“, einem ungewöhnlich ernsten Song der Beatles, der auch in seiner jazzigen Duo-Bearbeitung die Textaussage eindrucksvoll erlebbar werden ließ. Erinnerungen an heiße Woodstock-Zeiten anno 1969 weckte dagegen „Purple Haze“, ein aufwühlender Titel von Rocklegende Jimi Hendrix. Kaum zu glauben, dass selbst die Cello-Klavier-Version in kompromisslos harter Spielweise den einhämmernden, jaulend schrillen E-Gitarren-Sound nahezu naturgetreu imitierte. Und den kleinen Glockensaal schlichtweg zum Kochen brachte.
Der Kontrast zur „Cavatina“ aus Beethovens Streichquartett op. 130 hätte kaum krasser sein können: Runges eindringlich lyrisch-inniger Vortrag ließ einen bedrückend expressiven Eindruck von der Einsamkeit und Verzweiflung des längst ertaubten Beethoven entstehen, der die Zuhörer in Momenten atemloser Stille verharren ließ.
Und wieder ein krasser Schnitt, diesmal zu einem Werk des musikalischen Allround-Genies Frank Zappa: „Bebop Tango“. Ein Stück, so widersprüchlich wie der Titel, das in wahrhaft verrücktem Stilmix kantig-schroffe, formal strenge Tango-Rhythmen mit den typischen rhythmischen und improvisatorischen Freiheiten der Bebop-Grooves kombiniert. Was den beiden Interpreten ebenfalls in optimaler Umsetzung, gänzlich ungeachtet ihrer eigentlich gar nicht dazu passenden Instrumentenkonstellation, auf bestechend grandiose Weise gelang.
Zum runden Abschluss dieses ungewöhnlichen Philharmonischen Kammerkonzerts, dessen Titelliste aus gleichermaßen brillant arrangierten wie süperb präsentierten Werken zusammengesetzt war, musste es noch einmal Beethoven sein. Diesmal mit dem Finalsatz der sehr persönlichen Klaviersonate As-Dur op. 110. Sie bezieht sich autobiografisch auf eine gesundheitlich äußerst belastende Phase im Leben des Komponisten; musikalisch hat er dies umgesetzt in kantablem Lamentoso (darunter das ergreifende Bach-Choralzitat „Es ist vollbracht“) bis hin zum überschäumenden Jubel des wieder Genesenden. Wieder eine perfekte Gelegenheit für Runge und Ammon, dies in nuancenreichem Vortrag in einer riesigen dynamischen Palette zu präsentieren, die sich von zart intimem Timbre bis hin zum alles hinwegfegenden Fortissimo-Tsunami erstreckte.
Donnernder Applaus, für den sich die beiden sympathischen Musiker auch noch mit einem rasanten „Libertango“ von Astor Piazzolla sowie dem grandios intonierten Titel „Blue in Green“ des Jazztrompeters Miles Davis revanchierten.
(Es sei darauf hingewiesen, dass etliche der vorgestellten Werke auch auf der im August 2021 erschienenen CD „Revolutionary Icons“ des Duos zu finden sind.)
Gerd Klingeberg