2. Philharmonisches Kammerkonzert: Beethovens unsterbliches Geheimnis

Text: Gerd Klingeberg

Es gibt gewiss unterschiedlichste Möglichkeiten, Ludwig van Beethoven zu seinem 250. Geburtstag am 17. Dezember 2020 angemessen zu würdigen. Beispielsweise durch Aufführung seiner sämtlichen Sinfonien oder seiner Klavier- und Violinsonaten innerhalb nur weniger Tage.

Das Schubert-Theater Wien und das Epos-Quartett hatten für das 2. Philharmonische Kammerkonzert in der Glocke ein anderes Format gewählt. In einer reizvollen Kombination aus Kammerkonzert und Figurentheater haben sie ein außergewöhnliches Porträt des genialen Komponisten erstellt, das vor allem dessen Verbindung mit jener „unsterblichen Geliebten“ behandelt, die als Adressatin für einen späten, nie abgesandten Liebesbrief Beethovens vermutet wird. Vieles spricht dafür, dass es sich bei der mit „Mein Engel, mein Alles, mein Ich…“ Titulierten um die aus einem ungarischen Adelsgeschlecht entstammende Josephine Brunsvik handelt, die zeitlebens in sehr enger freundschaftlicher Verbindung zu Beethoven stand.

Mit zwei lebensgroßen, von ausdrucksstarken Gesichtern geprägten Puppen – Beethoven ganz typisch mit wallenden Haaren – stellten Christoph Hackenberg und Almut Schäfer-Kubelka episodische Szenen aus der Begegnung dieser beiden einander zugewandten Persönlichkeiten nach: etwa erste Klavierstunden, die sich weit über die eigentlich geplante Dauer bis hin zu neckischen Haschespielchen ausdehnten; ein Disput, der nach der von der Mutter arrangierten, aufgezwungenen Verheiratung Josephines mit dem deutlich älteren Grafen Joseph von Deym wohl zu einer zeitweiligen Unterbrechung des Kontaktes führte; ein späteres Wiedersehen, bei dem beide sich ihrer weiterhin uneingeschränkten innigen Zuneigung versicherten; Monologe des Komponisten im Hinblick auf seine zunehmende Taubheit. Der Wortlaut dazu entstammte durchweg originalen Briefen, Konversationsheften und Zeitzeugenberichten.

In diesen Rahmen hinein fügte sich der musikalische Part, der vom Epos-Streichquartett (Violine: Christine Busch und Verena Sommer, Viola: Klaus Christa, Violoncello: Francois Poly) in brillanter Ausführung präsentiert wurde: Sätze aus Streichquartetten oder weitere, für diese Besetzung eingerichtete Beethoven-Werksausschnitte. Nicht die einzelne Komposition stand dabei im Vordergrund, keine Opuszahlen, keine Satzbezeichnungen, keine Tonarten. Sondern deren enger biografischer Bezug zu dem, was in der Seele des Menschen Beethoven vor sich ging. Nämlich der Widerstreit überbordender Affekte und Gefühle, die zur Vollendung strebende, aber nie dieses Ziel erreichende Liebesbeziehung, all das, was Worte allenfalls ansatzweise auszudrücken vermögen. Die vier zarten Eingangstöne (die sogleich eine Terz tiefer wiederholt werden) des Andante favori scheinen exakt die Wortmelodie des Namens Josephine nachzuahmen – oder ist Beethoven womöglich vom Namen der Geliebten überhaupt erst dazu animiert worden?

Die verschiedenen Werke wurden teils untermalend vorgetragen, boten aber dazwischen bei längeren Passagen ohne Puppenspielaktivitäten auch reichlich Zeit zum intensiven Nachdenken. Sie vermittelten damit einen noch weitaus tieferen Einblick in die schier unergründliche Gefühlswelt des ebenso sensiblen wie genialen Menschen Beethoven, der sich im Übrigen durchaus bewusst war, dass er von seiner Umwelt nicht selten als „störrischer Misanthrop“ wahrgenommen wurde. Neben den ungemein expressiven Interpretationen des Epos-Quartetts, die Beethovens unerfüllte Liebesbeziehung in atmosphärischer Dichte und faszinierender Klangfarbigkeit nachzeichneten, wurde aber auch die vielleicht noch einschneidendere Problematik seiner zunehmenden Taubheit thematisiert. Denn Schlimmeres als der Verlust eines Sinnes, der „in größter Vollkommenheit“ bei ihm vorhanden war, wäre bei ihm kaum vorstellbar gewesen. Gut nachvollziehbar wurde dies etwa durch eine dirigentische Anweisung der Beethoven-Puppe an das Ensemble, das Presto-Finale seines Streichquartetts op.59/2 dynamisch im Fortepiano zu starten – doch es erklang stark gedämpft, genau so, wie es vom Maestro nur noch wahrgenommen werden konnte. „Ich beuge mich meinem Schicksal nicht!“ hat er geschrieben. Und hinzugefügt: „Ich lebe nur in meinen Noten.“ Diese trotzig aufbrausende Auflehnung gegen die Heillosigkeit seines Leidens, aber auch die immer wiederkehrenden Phasen tiefer Resignation und Verzweiflung bis hin zu suizidalen Gedanken wurden in den musikalischen Darbietungen mit größtmöglichem Einfühlungsvermögen in zu Herzen gehender Ausführung verdeutlicht.

Ein zutiefst beeindruckender 90-minütiger Konzertabend, dessen Konzept auf ungewöhnliche Weise die Musik eines Genies in den unmittelbaren Kontext zu den widrigen Umständen seines bewegten Lebens stellte. Das geschah unterhaltsam, wurde aber niemals banal. Und geriet vor allem meisterhaft in der Umsetzung. Sehr herzlicher Beifall.