Kritik: 3. Philharmonisches Kammerkonzert

Zum 3. Philharmonischen Kammerkonzert am 13. November 2023 im Kleinen Glockensaal

Es scheint auf der Hand zu liegen, dass Johann Sebastian Bach seine „Kunst der Fuge“ für ein Tasteninstrument konzipiert hat. Aber diese zumeist vierstimmigen Kompositionen können durchaus auch von einem Streichquartett interpretiert werden. Keine schlechte Idee, wie die Zuhörer des 3.Philharmonischen Kammerkonzerts erleben konnten. Denn das New Yorker „Isidore String Quartet“, das 2022 als Sieger beim renommierten Banff International String Quartet Competition 2022 gekürt wurde, startete das Konzert im Kleinen Saal der Glocke mit einer Auswahl aus diesem bachschen Opus. Überaus bedächtig und gänzlich unaufgeregt gingen die vier Streicher beim Contrapunctus I ans Werk. Durch die unterschiedlichen Timbres von Geigen, Bratsche und Cello wurde jede einzelne Stimmlinie in ungewohnter Klarheit differenzierbar. Deutlich lebhafter, schwungvoller und mit tänzerischer Leichtigkeit präsentierten die vier Streicher den folgenden Contrapunctus II. Besinnlicher, mit geradezu hymnischer Note schloss sich Contrapunctus III an, während in Nr. IV bei erneut rhythmischer Steigerung die zunächst raffiniert verschlungenen Stimmen in einem wohlklingenden Schlussakkord harmonierten. Auch wenn gerade diese vier ersten Fugenbeispiele zu den bekanntesten gehören mögen, ist es immer wieder ein besonderes Hörerlebnis, wenn die derart akribisch mathematisch aufgebauten Stücke nicht als quasi technisches Konstrukt, sondern als wunderschöne Musik imponieren.
Die 1987 im Iran geborene und dort auch aufgewachsene Komponistin Aida Shirazi ist vor allem für ihre akustischen und elektroakustischen Werke bekannt. „Umbra“ („Schatten“)  gefiel als vielschichtiges, kaleidoskopisch farbiges Gewebe aus irisierenden, changierend ineinandergreifenden Versatzstücken: Eine Klangkollage aus mitunter fremd erscheinenden Elementen, ätherisch zart, mit nur kurzfristigen Eruptionen. Und schließlich in feinen flageolettierten Schattentönen verhauchend.
Zum besseren Verständnis des 2022 entstandenen programmatischen Werks „Disappearance of Lisa Gherardini“ gab es eine vom Komponisten Dinuk Wijeratne verfasste Erläuterung. In drei Teilen wird der anno 1911 stattgefundene dreiste Diebstahl von Leonardo da Vincis Gemälde der Mona Lisa in filmmusikalischer Weise erzählt. Bildhaft machte in Part 1 das Cello die sinnierende Protagonistin beim Modellsitzen erlebbar, während die gestisch begleiteten kurzen Motive von Geigen und Bratsche in verblüffender Weise problemlos als Pinselstriche des Malers identifiziert werden konnten. Wie der Soundtrack eines Krimis dann der zweite Teil: ein vorsichtiges Heranschleichen an das Objekt der Begierde, resolutes Zupacken und Abhauen samt angedeuteter Verfolgungsjagd durch die Polizei. Die wirkungsvollen, mitunter jazzigen Passagen vermittelte das Quartett in bravouröser Ausgestaltung. Ebenso auch den Schlusspart in aquarellösen Klangfarben, so unergründlich wie das Lächeln der Mona-Lisa. Ein tolles kompositorisches Schelmenstück, eine musikalische Eskapade, die bei so manchem Zuhörer passend ein Lächeln aufs Gesicht zauberte. Moderne Musik muss eben keinesfalls immer kompliziert und schwer rezipierbar sein! Schon gar nicht, wenn sie derart gekonnt und unterhaltsam mit einem Augenzwinkern dargeboten wird.
Dazu passte in der zweiten Konzerthälfte das Streichquartett a-Moll op. 51 Nr.2 von Johannes Brahms. Ungeachtet seiner Moll-Tonart verströmt es gemütvolle Ruhe und gelöste Heiterkeit, aber – wie fast jedes Mal bei Brahms – auch einen unterschwellig mitschwingenden Hauch von Melancholie. Das brachte auch die Interpretation der vier jungen Streicher virtuos zum Ausdruck. Dafür sorgten wohl dosierte dynamische Spannungsbögen und kurze, niemals übermäßig drängende, dennoch befeuernde Ausbrüche im Kopfsatz. Ausnehmend schön geriet der 3.Satz Quasi Menuetto als graziles, pointiert und mitunter leicht quirlig erstelltes Stück, das mit seiner angenehm kantablen Darbietung wie ein romantisches Ständchen in lauer Nacht bei lauschigen Kerzenschein anmutete. Feurigen Drive – auch das ist typisch Brahms – bestimmte den straff angegangenen Finalsatz. Ein gelungener Schlusspunkt. Jedenfalls beinahe; denn nach dem begeisterten Applaus für die durchweg überzeugende Aufführung entließ das Ensemble die Zuhörer mit dem ausnehmend klangschönen, empfindsam zartbogig dargebotenen Lied „Adoration“ der U.S.-amerikanischen Komponistin Florence Price in die Nacht.

Gerd Klingeberg