1. Philharmonisches Kammerkonzert
    Donnerstag, 7.November 2024, im Kleinen Saal der Glocke

Von Gerd Klingeberg

Die Vorfreude auf das selten gespielte Konzert für Klavier, Violine und Streichquartett von Ernest Chausson war groß; die krankheitsbedingte Absage von Pianist Alexander Krichel entsprechend bitter. Doch beim Philharmonischen Streichquartett Berlin wusste man Rat: Dank seines großen Repertoires konnte das Ensemble die Programmabfolge kurzerhand auf Werke allein für Streichquartett umstellen, auf gleichermaßen häufiger gespielte und beliebte kammermusikalische Werke.
Aber Wiederhören macht bekanntermaßen auch Freude. Etwa bei Wolfgang Amadeus Mozarts eingängigem Divertimento F-Dur KV 138.
Es wurde ein Einstieg nach Maß, mit zupackend intonierten Anfangsakkorden, quasi eine Visitenkarte der Berliner, die dem Publikum signalisierten, dass sie gewillt seien, nicht nur ein abgespecktes Ersatzprogramm liefern zu wollen. Im Gegenteil! Derart forsch hat man Mozart selten gehört. Die gewählten, ziemlich sportlichen Tempi mochten anfangs durchaus etwas gewöhnungsbedürftig sein, aber die perfekte Ausführung bei rundum ausgewogenem Zusammenspiel, dazu die gelungene Synthese aus mozartischer Leichtigkeit und musikantischer Bestimmtheit überzeugten auf ganzer Linie. Da mochte der Presto-Satz schon ungemein springlebendig gestartet sein: Am Ende legte das Quartett akzelerierend glatt noch eins drauf.
Mit Antonín Dvořáks Streichquartett Nr. 12 F-Dur op. 96, besser bekannt als „Amerikanisches Quartett“, stand ein weiteres kammermusikalisches Highlight an. 1893 hat Dvořák es in seinem amerikanischen Ferienort Spilville, Iowa, komponiert, in nur zwei Wochen, und unter dem Eindruck der besonderen Natur, aber auch der vielen ungewohnten musikalischen Einflüsse. Damals war Amerika eben noch ein echtes Sehnsuchtsland (ganz anders als heute, kurz nach Wahl eines verurteilten Straftäters zum Präsidenten der Vereinigten Staaten!). Dvořáks zahllose Impressionen dieser Neuen Welt wurden in der ausdrucksvoll vielschichtigen Präsentation des Werkes durch das Berliner Quartett ohrenfällig vermittelt. Punktgenaues Spiel der mitunter jazzig anmutenden rhythmischen Finessen war zu jedem Zeitpunkt selbstverständlich. Der facettenreich dargebotene Kopfsatz wirkte wie die akzentuierte Schilderung all dessen, was den Komponisten dereinst im amerikanischen Umfeld bewegt haben mag. Ausnehmend melodisch, mit einem gehörigen Maß an Melancholie, emotional schwelgend in sanften Harmonien und dabei ruhig und breit fließend, wurde der 2.Satz Lento bis hin zum ‚morendo al niente‘- Schluss, dem sanften Erlöschen im Pianissimo, zu einer nachdenklichen, zu Herzen gehenden Ruhephase.
Die ausgeprägt stampfende Rhythmik des munter angegangenen Finalsatzes weckte hingegen anrührend nostalgisch verbrämte Bilder einer Fahrt mit der Dampflok quer durch das schier grenzenlose Land. Die unterschiedlichen folkloristischen Anleihen, der vielfach tänzerisch heitere Impetus, aber auch das eingeschobene, kontrastierend gemütvolle Trio – in dem der Komponist vielleicht auch so etwas wie Sehnsucht ins heimische Böhmen angedeutet hat: All das wurde durch die atmosphärisch vielgestaltigen, überaus farbintensiv nachgezeichneten Ausführungen des Quartetts zu einem wahrhaft grandiosen Hörerlebnis.
Ganz andere und weitaus ernstere Töne hat Franz Schubert bei seinem Streichquartett d-Moll „Der Tod und das Mädchen“ angeschlagen. Es gilt aufgrund seiner komplexen Struktur sowohl spieltechnisch als auch interpretatorisch als sehr anspruchsvoll und außerordentlich herausfordernd. Aber auch hier bewiesen die vier Instrumentalisten ein ausgeprägtes Gespür für eine nuancierte Darbietung bei gleichzeitig dauerhafter Aufrechterhaltung großformatiger Spannungsbögen. Den Aufmerksamkeit heischenden harten Anfangsakkorden folgte ein gut nachvollziehbar angelegter Stimmungswechsel zwischen leichten, geradezu unbeschwerten und dramatisch verdüsterten Phasen als gelungene Charakterisierung des jungen Mädchens und des Gevatters Tod aus dem zugrunde liegenden Gedicht von Matthias Claudius.
Besonders expressiv erklang der langsame Variationensatz Andante, mit einem schlichten, getragen dargebotenen Thema, das indes immer wieder angstvolle innere Unruhe anklingen lässt in unterschwelligen, aufgeregten Begleitstimmen. Durch den brillanten, stets auf größtmögliche Transparenz abzielenden Vortrag des Ensembles ließ sich dieses spannend kontrastierende Miteinander auch in den leisen Partien problemlos nachvollziehen.
Beim wie aufgebracht trotzig wirkenden „Totentanz“ des Scherzos setzte das Quartett mit dem traumhaft sanften Trio einem effektvollen Gegensatz. Im Presto-Finalsatz überzeugten die Musiker erneut mit hart attackierendem, scharf konturiertem Spiel, mit plötzlichen atmosphärischen Umschwüngen und pointiert gesetzten, die Spannung intensivierenden kurzen Pausen, um schließlich mit einer wilden, sinfonisch dichten Stretta in stark angezogenem Tempo einen markanten Schlusston zu setzen.
Die begeisterten Zuhörer feierten das sympathische Ensemble mit frenetischem Beifall. Dass eine Zugabe dennoch ausblieb, ist gewiss nachvollziehbar, einerseits aufgrund eines innerhalb von nur 24 Stunden komplett geänderten Programmablaufs, den das Quartett mit größter Bravour absolvierte. Andererseits war es aber auch richtig, die immense Ausdrucksintensität des Schubertschen Werkes nicht etwa durch eine möglicherweise allzu ‚simple‘ Zugabe zu mindern.
Das ursprünglich geplante Konzert soll zu gegebener Zeit nachgeholt werden. Und ja, man darf gespannt sein auf einen weiteren, garantiert nicht minder eindrucksvollen Auftritt des Philharmonischen Streichquartetts Berlin.