Rezension: 1. Philharmonisches Kammerkonzert

1.Philharmonisches Kammerkonzert Saison 2021/2022
Der unaufdringliche, stets zart anmutende Klang einer Laute, auf der Thomas Boysen griffsicher ein fein figuriertes Capriccio von Pietro Paolo Melli intonierte, markierte den Beginn des 1.Philharmonischen Kammerkonzerts dieser Saison. Es war in vielerlei Hinsicht anders als die sonst zumeist üblichen Veranstaltungen dieser Konzertreihe: keine kammermusikalische Instrumentalbesetzung, sondern das Collegium Vocale Gent als kleines, aber ausgesprochen exquisites Gesangsensemble, dessen Ausführungen im ansprechenden Ambiente und dem leichtem Nachhall der Kirche Unser Lieben Frauen optimal zur Geltung kamen.
Unter dem unaufgeregten, oft nur leicht angedeuteten Dirigat des vielfach preisgekrönten Philippe Herreweghe, der als einer der bedeutendsten Kenner Alter Musik gilt und in diesem Jahr mit dem Musikfest-Preis für sein herausragendes künstlerisches Wirken geehrt wird, erklangen bei diesem Konzert fünfstimmige Madrigale des um 1560 in Neapel geborenen, aber vor allem in Venedig tätigen Carlo Gesualdo, Duce da Venosa, der als einer der ungewöhnlichsten und avantgardistischsten Komponisten der Renaissance gilt. Ob dabei die eigenhändige Ermordung seiner ersten Ehefrau (um, wie es heißt, die eigene Ehre nach einer außerehelichen Beziehung der Angetrauten wiederherzustellen) tatsächlich Form und Inhalt der Kompositionen bestimmte, darf indes bezweifelt werden, auch wenn darin immer wieder zumeist unerfüllte Liebe, Trauer, Schmerz und Tod im Vordergrund stehen.
Die außerordentlich komplex ineinander verflochtene Stimmführung der Einzelstimmen und die sich daraus ergebenden ungewöhnlichen Harmonien setzen höchste gesangliche Qualitäten voraus. Bedingungen, die von den ausgewiesenen solistischen Spezialisten des Collegium Vocale Gent (Miriam Allen und Barbora Kabátková: Sopran, Benedict Hymas und Tore Tom Denys: Tenor, Jimmy Holliday: Bass) mit allergrößter Bravour gemeistert wurden. Eindrucksvoll verdeutlichten sie die unzähligen Affekte des inhaltsschweren, streckenweise geradezu philosophisch anmutenden italienischen Textes in klangvoll gestaltetem, nur ganz dezent im Hintergrund von der Laute begleiteten Gesang. In kunstvollen Tonmalereien äußerte sich die Freude in exaltiertem Jubel, jedoch zumeist nur, um gleich darauf stark kontrastierend die tiefe Melancholie angesichts von Liebesschmerz und Todesgedanken in dunklen Klangfarben zu vermitteln.
Immer wieder verblüfften dabei die kühn komponierten, stark auf chromatische oder enharmonische Effekte setzenden Akkordverbindungen, deren bisweilen unentflechtbar wirkende Disharmonien vom Ensemble nicht selten mit kurzem Ritardando geschickt akzentuiert wurden – um sie dann ausdrucksstark mit einem einzigen modulierenden Halbtonschritt ganz genüsslich als aufgelöste, vollendete Harmonien erklingen zu lassen. Ein Effekt, der nur dank der perfekten Intonation jeder einzelnen Stimme in nuancierter Transparenz zu erleben war. Selbst wenn man dem italienischen Text (der im Programmheft auch in deutscher Übersetzung vorlag) nicht hätte folgen können, so waren dessen emotionale Inhalte aufgrund des ausgezeichnet interpretierenden Gesangs dennoch nahezu deckungsgleich nachvollziehbar.
Wenn unter den insgesamt 15 gesungenen Madrigalen eines in seiner Expressivität ganz besonders herausstach, so war es gewiss das „Mercè grido piangendo“ („Weinend ruf ich um Erbarmen“), das mit einem lauten, im höchsten Diskant gesetzten Ruf der Verzweiflung startete, um in einem kaum noch hörbaren, pianissimo gehauchten „Io moro“ („Ich sterbe“) als fragiles Morendo auszuklingen.
Ebenso virtuos wie feinsinnig vorgetragene Lauten-Soli – ein Ricercare des italienischen Lautenisten und Gesualdo-Zeitgenossen Alessandro Piccinini sowie zwei technisch anspruchsvolle, spritzige Toccaten von Girolamo Kapsberger – gefielen als stimmungsvolle Intermezzos.
Am Ende des von unterschiedlichster, nicht selten bedrückend düsterer musikalischer Emotionalität geprägten Konzerts stand unerwartet ein überwältigend optimistisches Jauchzen: „T’amo, mia vita!“ („Ich liebe dich, mein Leben!“. Es war das grandiose Finale eines exzeptionellen Konzert, das vom begeisterten Auditorium mit lang anhaltendem Beifall bedacht wurde.

Credits: Gerd Klingeberg