Kritik für das 3. Philharmonische Kammerkonzert: Eckart Runge, Pablo Barragan, Amadeus Wiesensee

Die verhalten einsetzenden Anfangstöne sorgten bei den Zuhörern des 3. Philharmonischen Kammerkonzerts für etliche irritierte Blicke ins Programm. Sollte diese so nicht erwartete Tonfolge etwa die Einleitung zu einer besonders originellen Interpretation von Beethovens Trio B-Dur op. 11 sein? Nur wenige Takte weiter war es dann aufgrund der unüberhörbar rassigen Tango-Rhythmik jedoch offensichtlich: Das konnte keineswegs Beethoven sein. War es auch nicht. Der Überraschungscoup der Aufführenden, das Konzert mit dem  im Programm überhaupt nicht angegebenen „Invierno“ („Winter“) aus den „Cuatro Estaciones Porteñas“, den „Vier Jahreszeiten von Buenos Aires“ von Tango-Altmeister Astor Piazzolla einzuleiten, erwies sich indes als voller Erfolg. Als kleiner Aufwärmer für die kalte Jahreszeit sei dies gedacht gewesen, erläuterte anschließend Cellist (und derzeitiger Artist in Residence) Eckart Runge dieses anregende Begrüßungs-Bonbon. Was ohne Zweifel eine deutliche Untertreibung bedeutete angesichts der glutvollen, ungemein forschen und zugleich expressiven Darbietung, die er gemeinsam mit dem andalusischen Klarinettisten Pablo Barragan und dem jungen Pianisten Amadeus Wiesensee im kleinen Saal der Glocke präsentierte.
Beethovens Trio für Klarinette, Violoncello und Klavier op.11, das selbstverständlich als ursprünglich erster Programmpunkt nicht gestrichen worden war, startete in perfektem Zusammenspiel. Nicht piazzolla-energisch, sondern eingängig und mit freundlicher Leichtigkeit, mal als unterhaltsamer Disput, mal als brillante Demonstration der unterschiedlichen instrumentalen Timbres, die sich in perfekter Balance ergänzten. Klangvolle Träumereien in breit fließendem Legato als kantable Cello- und Klarinettenmelodien prägten den Adagio-Mittelsatz: Musik vom Feinsten für die Seele. Schließlich das finale Allegretto mit dem geradezu keck anmutenden Thema „Pria ch’io l’impegno“, einer Melodie aus der Oper „L‘amor marinaro“ von Beethovens Zeitgenossen Joseph Weigl. Ein echter Ohrwurm, den man problemlos nach nur einmaligem Hören hätte mitpfeifen können. Und der mit Esprit und mitreißend musikantischem Schwung in seinen kontrastierenden Variationen bis hin zum heiter-furiosen Schlusspart mit leidenschaftlichem Impetus vorgetragen wurde.
In der 1962 entstandenen Sonate für Klarinette und Klavier von Francis Poulenc konnte man vor allem das Blasinstrument in seiner vielfältigen Klangfarbigkeit erleben: munter parlierend, sanft säuselnd, ausschweifend breit oder schmusezart mit romantisch-besinnlichem Ausdruck. Nahezu wie entrückt wirkte die zarte Romanza – wären da nicht die kurzen, bewusst schärfer konturierten Einwürfe gewesen, die die die schweifenden Gedanken in die Realität zurückriefen. Als Paradestück für Barragans klarinettistische Virtuosität erwies sich der äußerst lebhaft ausgeführte, quirlig-spritzige Allegro-Schlusssatz.
Cellist Runge demonstrierte seine spieltechnischen und auf größtmögliche Ausdrucksintensität setzenden interpretatorischen Qualitäten bei „Pohádka“ („Märchen“), einer nur kurzen, aber inhaltsreichen Sonate für Cello und Klavier von Leoš Janáček. Ein Werk, das über den zumeist engen, oft tiefsinnig anmutenden Dialog von Klavier und Cello gewiss unterschiedlichste „Es-war-einmal“-Stimmungen und -Situationen bei den Zuhörern vermittelte.
Im Trio a-Moll für Klarinette, Violoncello und Klavier op.114 von Johannes Brahms überzeugte das Ensemble erneut mit ausgeprägt auslotender, durchgängig spannungsgetragener Wiedergabe. Pointiert wurden in diesem Spätwerk des Komponisten die häufigen motivischen Schwankungen zwischen melancholischer Schattierung und fast schon ruppigem Aufbegehren, zwischen Gefühlsintensität und folkloristischem Übermut, zwischen Beschaulichkeit und Resignation in ausdrucksvollem Neben- und Miteinander faszinierend nachvollzogen. Wahrlich schwere Kost zum Schluss, trotz der zugriffigen ungarisch-feurigen Ansätze und einer straffen Coda des finalen Allegro-Satzes.
Doch damit wollten die drei sympathischen Musiker das begeistert applaudierende Auditorium nicht auf den Heimweg entlassen. Und sie beendeten das Konzert mindestens ebenso schwungvoll, wie sie es auch begonnen hatten. Diesmal mit einer anderen Jahreszeit, nämlich „Otoño“, dem „Herbst“, so wie ihn Piazzolla in Buenos Aires vielleicht erlebte und gekonnt in einem packenden Tango widerspiegelt: mit den wunderschönen Farben der Natur, mit sehnsuchtsvollen Rückblicken auf sonnendurchflutete Tage. Und vor allem mit einer gehörigen Portion Beschwingtheit und ansteckend guter Laune.

Gerd Klingeberg